Warum es dumm wäre, mit Social Media aufzuhören

Heute möchte ich auf einen Gastbeitrag von Johst Klems, Geschäftsführer der Düsseldorfer Social-Media-Agentur Earnesto bei Horizont eingehen. Achtung, kleiner Exkurs: Im YouTube-Jargon würde man Reaction dazu sagen, nur dass ich eben kein Video drehe, um auf das Video eines anderen YouTubers zu reagieren (was ein sehr beliebtes YouTube-Format ist), sondern mein Medium ein Blog ist und ich auf eine geschriebene Publikation reagiere. Und: Meine Reaction wird auch kein Rant, also keine Schimpftirade, die auf YouTube ganz gerne in einem Beef (also Zoff, nicht das Steak) zwischen zwei YouTuberInnen endet. Exkurs Ende.

 

Johst Klems erklärt in seinem Gastbeitrag nichts Geringeres als die Relevanz von Social Media. Er nimmt Bezug auf einen Report, die vor Kurzen erschienen ist: "It's OK To Break Up With Social" lautet der Titel des Reports von Forrester. Darin werden Unternehmen dazu aufgerufen, ihre Präsenz bei Facebook & Co. selbstkritisch hinterfragen und diese sogar zu stoppen, wenn kein nennenswerter, messbarer Erfolg dabei herausspringt. Ein Drittel der CMOs seien laut Report nicht in der Lage, die Auswirkungen von Social Media auf das Geschäft nachzuweisen. „Vermarkter, die den Mehrwert sozialer Medien nicht nachweisen können oder das Gefühl haben, dass die Entscheidungen sozialer Netzwerke im Widerspruch zu ihren eigenen Markenprinzipien stehen, sollten die Reißleine ziehen“, empfiehlt Jessica Liu, Senior Analystin von Forrester. 

 

Meine Reaktion auf diesen Report war (um hier wieder den YouTube-Jargon zu bemühen): Diggi, whaaaaaat??!?!1!111!!

 

Laut Report, sind für 68 Prozent der Befragten Unternehmensinhalte uninteressant. Dieses Ergebnis kommt laut Forrester dadurch zustande, dass Unternehmen und Marken soziale Medien vor allem dafür nutzen würden, um potentielle und Bestandskunden auf allen möglichen Ebenen zu stalken, angefangen von Social Ads über Influencer Marketing bis hin zu Kundenservice und eigenem Content.

 

Meiner Ansicht nach – und diese Ansicht teilt Johst Klems mit mir – ist nicht das „Stalken“ der Kunden via Social Media über sämtliche zur Verfügung stehende Ebenen hinweg der Auslöser für das Desinteresse an Markeninhalten. Klems erklärt zutreffend: „Oftmals ist der Inhalt noch gewollt, noch zu werblich, ein bisschen nach den Regeln der alten Werbewelt. Doch selbst die schlechteste Form der Werbung im Social Web ist nichts anderes als Werbung, wie sie in jedem anderen Medium Normalität ist.“

 

Damit hat er vollkommen recht, denn diese gewollten und werblichen Inhalte begegnen mir leider auch immer noch viel zu oft auf Facebook, Instagram & Co. Dass solche Inhalte ihre „Auswirkungen von Social Media auf das Geschäft“ verfehlen, liegt meines Erachtens auf der Hand. Denn mal ehrlich: Wer wird denn gerne mit aufdringlicher Werbung zugespamt? Und welcher User kommt mit dieser Abwehrhaltung auf die Idee, einem Social-Media-Marken-Account zu folgen, auf dem er mit Werbung zugespamt wird? Das dürften vermutlich die wenigsten sein. Dieses desaströse Ergebnis, dass für 68 Prozent der Befragten Unternehmensinhalte uninteressant seien, kommt in meinen Augen aus genau dieser Richtung.

 

Und deshalb ist die Empfehlung von Forrester, sich als Unternehmen komplett aus Social Media zurückzuziehen, wenn darüber keine neuen Kunden oder Verkäufe generiert werden, totaler Murks. „Schmutz!“ würden bekanntere Gesichter aus der YouTube-Szene dazu sagen. „Abschaum!“ Denn: Wenn das Problem die Inhalte sind, muss die Flinte nicht gleich ins Korn geworfen werden. An dieser Stellschraube kann nämlich gedreht werden.

 

Wir halten fest: die sozialen Netzwerke sind KEINE Werbeplattformen, zumindest nicht im Sinne der klassischen Werbewelt. Und – auf einen Punkt will ich noch eingehen, bevor ich zu Johst Klems zurückkehre – Social Media ist auch nicht allein dafür da, den Kundenservice darüber abzuwickeln.

 

Facebook & Co. bieten stattdessen die wertvolle Gelegenheit, Beziehungen aufzubauen. Beziehungen mit der Community und mit Kunden. Unternehmen können sich via Social Media noch einmal von einer ganz anderen Seite präsentieren, Marken können mit Emotionen und immer wichtiger werdenden Haltungen zu gesellschaftlichen und politischen Themen (z.B. Diversität) aufgeladen werden. Unternehmen und Marken werden über die sozialen Medien nahbarer, persönlicher, authentischer. Informationen werden untereinander geteilt, es wird gemeinsam gelacht, geschimpft und geschlichtet, geholfen und getröstet. Ganz genau wie in zwischenmenschlichen Beziehungen auch.

 

Bei einem weiteren Punkt, den soziale Netzwerke heutzutage unverzichtbar machen, lasse ich wieder Johst Klems zu Wort kommen:

„Unzählige Menschen konnten in den letzten Jahren von Marken überzeugt werden und folgen diesen aus freien Stücken.

·        Mercedes Benz Deutschland (IG): 6,7 Millionen Fans,

·        lavera Naturkosmetik (IG): 92 Tausend Fans,

·        Tamaris (IG): knapp 200 Tausend Fans,

·        DAK Gesundheit (FB): rund 250 Tausend Fans

Wann gab es das schon einmal in der medialen Vergangenheit? Jeder Marketer, der sich ernsthaft mit Social Media befasst, wird keinen Zweifel an der Kraft von Kommunikation im Social Web haben.“

 

Bäm! In your face, Forrester!

 

Niemand würde auf die Idee kommen, einer Lovebrand wie Tamaris anzuraten, ihre Social-Media-Kanäle in die Tonne zu treten, selbst wenn über den Instagram-Account keine Verkäufe generiert werden würden. Warum? Wenn Tamaris (sowie alle anderen Marken aus der Liste) nicht auf Instagram vertreten ist, macht sich eben die Konkurrenz breit. Zur gleichen Erkenntnis ist endlich auch Apple gelangt, die bis August 2017 (!) keinen eigenen Instagram-Auftritt hatten (lediglich einen für Apple Music). Und leider haben das auch zwielichtige, rechtsgerichtete Parteien erkannt, die sich die Arroganz deutscher Volksparteien zunutze machen, die im Jahr 2020 immer noch denken, dass Social Media für sie keine Relevanz hätte. #facepalm

 

Sicherlich ist nicht immer allein die Social-Media-Präsenz der Grund dafür, weshalb z.B. eine Brand zu einer Lovebrand wird. Doch es gibt auch Beispiele für Brands, die vor allem mithilfe ihres Social-Media-Auftritts an Coolness und Beliebtheit dazugewonnen haben - wie die BVG, also die Berliner Verkehrsbetriebe. Die BVG hat es geschafft, dass ihre Social-Media-Arbeit sogar von Menschen verfolgt wird, die nicht aus Berlin kommen (ich zum Beispiel, aber ich kenne auch andere aus meinem Umfeld). Durch ihre freche und provokante Kommunikation lädt die Social-Media-Abteilung die Marke mit einem überraschend humorvollen und selbstironischen Unterhaltungswert auf.

 

Der/die verprellte ÖPNV-NutzerIn aus Berlin, der/die mal wieder auf den verspäteten Zug wartet und über Twitter & Co. seinem/ihrem Ärger darüber Luft machen will, muss damit rechnen, dass er oder sie keine Entschuldigung für eine Schlechtleistung der BVG erhält, sondern bestensfalls ein Augenzwinkern und schlechtestenfalls ein rüpelhaftes "Morgen gleich noch mal! Gleiche Zeit, gleicher Ort!". Und die Leute lieben es! Mit ihrer "Wir sind halt so, und jetzt?"-Attitüde poliert die BVG nicht nur ihr Image auf und wird zur Kultmarke der Hauptstädter - sie gewinnt damit auch Preise. Die BVG hat sich mit ihrer Art zu kommunizieren etwas getraut, was für Social-Media-ManagerInnen wie mich wegweisend ist und wofür ich die Berliner Verkehrsbetriebe an dieser Stelle einmal zu Ehrenmännern und Ehrenfrauen adeln möchte.

 

Ich pflege immer zu sagen: Die sozialen Netzwerke mit ihren Communities geben den Rahmen vor, in den Unternehmen ihre Inhalte gießen müssen – und nicht umgekehrt! Wenn Markeninhalte nicht ziehen, müssen diese eben optimiert und vor allem besser an die Zielgruppenbedürfnisse angepasst werden. Es kann sich heutzutage aus den oben genannten Gründen kein Unternehmen mehr erlauben, nicht in Social Media vertreten zu sein und nicht die kostenlose Reichweite sowie die vielfältigen Möglichkeiten, die Zielgruppe(n) zu erreichen, mitzunehmen. Deshalb: Nein, es ist nicht ok, mit Social Media Schluss zu machen! Oder um es in den Worten von Johst Klems zu sagen: "It's stupid to break up with Social Media, if you haven't played it right yet".

 

Wenn euch mein Beitrag gefallen hat, lasst mir einen Daumen nach oben da und schreibt mir eure Gedanken dazu in die Kommentare. Und hier findet ihr noch den Beitrag von Johst Klems

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